21.06.2009 / Eschede: Nationalsozialistische Sonnenwende in Niedersachsen

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Das neonazistische Ritual wurde von einem massiven Polizeieinsatz begleitet. Rund 260 Neonazis zelebrierten am vergangenen Samstag auf dem abgelegenen Hof eines NPD Mitglieds im niedersächsischen Eschede eine neonazistische »Sonnenwendfeier«. Nicht nur in Norddeutschland gilt das jährlich stattfindende Treffen als bedeutender Bestandteil der »Erlebniswelt Neofaschismus«. Hier wird neonazistische Ideologie vermittelt, jugendliche Mitläufer politisiert. Während der Anreise stellten Polizeibeamte Waffen und sowie zahlreiche strafrechtlich relevante Tonträger sicher.

Bereits am Vortag fanden sich Neonazis auf dem Landgut in Eschede ein. Mit dem Anwesen des langjährigen NPD-Mitglieds Joachim Nahtz verfügt die norddeutsche Neonaziszene seit etlichen Jahren über einen abgeschirmten und weitestgehend ungestörten Rückzugspunkt. Auf dem weitläufigen Areal in der Lüneburger Heide finden regelmäßig ideologisch motivierte Veranstaltungen statt. Neben Zeltlagern von neonazistischer Vereinsorganisationen wie der im März 2009 verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend e. V.« (HDJ), Sonnenwendfeiern, Musikveranstaltungen, Koordinierungs- und Vernetzungstreffen, kommt man hier ebenso für internen Schulungs- und Strategieveranstaltungen zusammen. Die immense Bedeutung für die norddeutsche Neonaziszene resultiert vor allem aus der räumlichen Abgeschiedenheit des Geländes. Hier können jugendliche Neonazis und Aktivist_innen wie zuletzt am vergangenen Wochenende erfolgreich indoktriniert werden. Auch Minderjährige befinden sich immer wieder unter den angereisten Teilnehmer_innen. Nationalsozialistische Ideologie und rassistische Weltanschauungen können auf »Hof Nahtz« in Eschede nahezu ungestört weitergereicht und verfestigt werden.

Von dem Gelände gehen ebenfalls strafrechtliche und gewaltsame Aktivitäten aus. So attackierten im vergangenen Jahr Mitglieder einer neonazistischen Ordnertruppe einen Journalisten welcher Aktivitäten von Neonazis in Eschede dokumentierte. Bei einer neonazistischen Gruppierung aus Winsen/Aller, welche auf dem Anwesen von Joachim Nahtz verkehrten, wurden bei einer Polizeirazzia vor einigen Monaten ein Waffenlager, Munition und Propagandamaterial gefunden. Unter den beschlagnahmten Waffen befand sich auch ein G3-Maschinengewehr. Die militante Gruppierung, welche unter dem Namen »Divison 88« mehrere Wehrsportübungen durchführte, plante nach Eigenangaben eine systematische Menschenjagd auf »muslimische Terroristen«. Doch auch auf dem Anwesen selbst wurden bereits sogenannte Wehrsportübungen und militärische Schulungen durchgeführt. Si auch im Jahr 1992, als rund 30 Aktivisten der inzwischen verbotenen »Nationalen Liste« (NL) auf dem Gelände eine 3-tägige paramilitärische Wehrsportübung veranstalteten. Bei einer daraufhin durchgeführten Polizeirazzia stellen Einsatzkräfte der Polizei neben Propagandamaterialien auch Waffen sicher.

Der direkte Bezug zum Nationalsozialismus und die Vermittlung der innewohnenden völkisch-nationalistischen Ideologie trat während der stattgefundenen Sonnenwendfeier in Eschede offen zu Tage. Im Verlauf der abendlichen Zeremonie wurde nach Eigenangaben der Veranstalter_innen das Lied »Ein junges Volk steht auf« von den angereisten Neonazis »feierlich« angestimmt. Dabei handelt es sich um ein Pflichtlied der Hitlerjugend (HJ), welches von verschiedenen Landesämtern der Verfassungsschutzes als strafrechtlich relevant eingestuft wird. Wegen der Verbreitung dieses Liedes sind inzwischen in einigen Bundesländern Ermittlungsverfahren gegen Neonaziaktivisten wegen Volksverhetzung anhängig. Sprichwörtliche Brücken in die Vergangenheit schlug während der Sonnenwendfeier in Eschede auch ein weiteres der angestimmten Lieder. Dabei handelte es sich um das Stück »Flamme empor«, das bereits zum Bestandteil nationalsozialistischer Sonnenwendfeiern in den Jahren der NS-Diktatur gehörte. »Flamme empor« lautete auch das Motto der 1994 vom Bundesinnenministerium verbotene »Wiking Jugend«. Ein Leitsatz der auch bei der verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« seinen Eingang fand und als einleitende Worte während der Gründung der »HDJ-Einheit Mecklenburg und Pommern« verwendet wurden.

Unter Trommelschlägen waren die Neonazis in Eschede am vergangenen Wochenende vor Entzündung des Feuers zusammengekommen. Aufgestellt in Marschformation, in den Händen brennende Fackeln und Reichsfahnen. Das abendliche Schauspiel diente der Vermittlung von militärischer »Kameradschaft« und Zusammenhalt sowie der kämpferisch anmutenden Aufforderung der gesellschaftlichen Entwicklung entgegenzusteuern, wie die Veranstalter_innen im Nachhinein betonten. Als Organisationsstrukturen der nun stattgefundenen Sonnenwendfeier traten dabei die parteiunabhängigen Gruppierungen der »Kameradschaft Celle 73«, der »Snevern Jungs«, »Nationale Sozialisten OWL/SHG«, der »Freien Kräfte Hannover« sowie der »Düütschen Deerns« in Erscheinung. Allesamt Untergruppen der »Nationalen Sozialisten Niedersachsen«, einem Dachverband der niedersächsischen Neonaziszene. Auch Fahrzeuge aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und dem benachbarten Polen steuerten das Anwesen im Verlauf des Tages an und erreichten das Gelände nach kurzem Stopp in den polizeilichen Kontrollstellen.

Die Sonnenwendfeier auf dem abgelegenen Grundstück in Eschede beschränkte sich dabei nicht auf die Vermittlung völkischer Versatzstücke sondern diente ebenfalls der Vorbereitung zukünftiger Aktivitäten wie beispeilsweise einem geplanten Aufmarsch Anfang August im niedersächsischen Bad Nenndorf. An entsprechenden Informationsständen wurden diesbezügliche Propagandamaterialien verbreitet. Zeitgleich regte sich im Ortskern von Eschede Widerstand gegen das braune Treiben. Bereits in den frühen Nachmittagsstunden versammelten sich etwa 60 Personen zu einer Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Wenige Stunden später fand sich dann eine weitere Protestveranstaltung unter der Leitung des Bürgermeisters in der Samtgemeinde statt. Einhalt wird den Vorgängen auf »Hof Nahtz« damit kaum geboten werden. Spätestens im September wird mit einem völkischem »Erntefest« eine weitere Veranstaltung der Szene erwartet. Die »Kameradschaft Celle 73« kündigte für den kommenden Dezember bereits eine weitere Sonnenwendfeier an. Nationalsozialistische Indoktrination inbegriffen.