04.08.2009 / Faßberg: Durchsuchung und vorläufiges Ende für Neonazihotel in Faßberg

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Am Nachmittag räumten die Neonazis den Gebäudekomplex, Transparente und Fahnen wurden eingeholt. Durch den freiwilligen Abzug wendeten die Neonazis eine polizeilichen Zwangsräumung ab. Ein zuvor gefällter Beschluss des Landgericht Lüneburg erklärte die vor zweieinhalb Wochen erfolgte Besitznahme des »Landhaus Gerhus« durch militante Neonazis und unter Leitung des Hamburger Neonazifunktionärs Jürgen Rieger für rechtswidrig. Bereits wenige Stunden vor Verkündung der Entscheidung wurde das ehemalige Hotel von Spezialeinsatzkräften (SEK) der Polizei durchsucht. In der vorangegangenen Nacht soll ein Schuss auf dem Anwesen gefallen sein.

Bereits vor zwei Wochen berichtete ein Anwohner von mehreren Schüssen auf dem Gelände. Nach dem neuerlichen Zwischenfall, bei dem am gestrigen Montag Abend erneut ein Schuss auf dem Anwesen im niedersächsischen Faßberg gefallen sein soll, verschafften sich Einsatzkräfte der Polizei nun gewaltsam Zutritt zu den Räumlichkeiten des »Landhaus Gerhus«. Ziel sei »das Auffinden von Waffen jeglicher Art« gewesen, um den Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz zu erhärten, so der Wortlaut einer anschließenden Pressemitteilung der Polizeiinspektion Celle. Mit Ausnahme eines Schlagstockes, Pfefferspray und mehreren Waffennachbildungen wurden allerdings keine Waffen in dem weitläufigen Gebäudekomplex sichergestellt. Dafür wurde die Polizei an anderer Stelle fündig.

Bei zwei weiteren Hausdurchsuchungen in Rotenburg (Wümme) und Hannover wurden drei Schreckschusspistolen, ein Klappmesser sowie ein Schlagring beschlagnahmt. Die betroffenen Neonazis hatten sich zum Zeitpunkt des Schusses auf dem Anwesen aufgehalten und seien kurze Zeit später mit ihren Fahrzeugen von dem Areal gefahren. Insgesamt hätten sich im »Landhaus Gerhus« zum Zeitpunkt der Durchsuchungsaktion 12 Personen aufgehalten, unter Ihnen befand sich auch Dennis Bührig, Führungsfunktionär der militanten »Kameradschaft Celle 73«. Die im »Gerhus« vorgefundenen Neonazis stammten aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, darunter auch vier Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Die Minderjährigen wurden anschließend der Obhut des Jugendamtes in Celle übergeben.

Vor zweieinhalb Wochen waren militante Neonazis in das »Landhaus Gerhus« eingedrungen und hatten das Gebäude in Beschlag genommen. Schlösser wurden aufgebohrt und ausgetauscht. Bei dem Drahtzieher der Aktion handelte es sich um den langjährigen Neonazifunktionär und stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Jürgen Rieger aus Hamburg. Rieger verkündete nach Bekanntwerden der Besetzung das seinerseits ein Pachtvertrag mit den Eigentümern des »Gerhus« vorliegen würde, der ihm den Zugriff auf das Gebäude erlauben würde. Da sich das Gebäude derzeit unter Zwangsverwaltung befindet war die rechtliche Situation zunächst unklar. Allerdings nicht für den Zwangsverwalter des Gebäudes. Dieser erstattete umgehend Anzeige gegen das Vorgehen.

Bereits im Oktober 2008 verkündete Jürgen Rieger das ehemalige Hotel in Unterlöß bei Faßberg käuflich erwerben zu wollen um dort ein »nationales Schulungszentrum« zu errichten. Inwieweit den Äußerungen von Jürgen Rieger ernstzunehmende Kaufabsichten zugrunde lagen, darf indes bezweifelt werden. In der Vergangenheit sorgte der Hamburger Rechtsanwalt immer wieder für Negativschlagzeilen aufgrund angeblicher Kaufabsichten. Aussteiger_innen berichteten von fingierten Scheinkäufen mit denen die Preise von Gebäuden in die Höhe getrieben werden sollten. Mit den öffentlichkeitswirksam verkündeten Kaufabsichten von Rieger sollten die Kommunen zum Erwerb der Immobilien genötigt werden um so die Entstehung von neonazistischen »Schulungszentren« abzuwenden. Sein Engagement ließe sich das NPD-Mitglied Rieger im Gegenzug von den Eigentümer_innen der Immobilien finanziell entlohnen. Ein Lohn der im Fall Faßberg wohl zu einem gewissen Teil an die involvierten Mitglieder der militanten Kameradschaftsszene geflossen wäre.

Die Brisanz die ein Kauf des »Landhaus Gerhus« durch Jürgen Rieger beinhaltet, begründet sich vor allem aus der geographischen Lage des Anwesens. Seit Jahren ist die Region für militante Netzwerke von Neonazis bekannt. Neben parteiunabhängigen Neonazigruppierungen wie der »Kameradschaft Celle 73», den »Snevern Jungs« oder der »Kameradschaft Lüneburg/Ueelzen - Sturm 16« finden sich hier ebenso Mitglieder der rassistischen und von Jürgen Rieger geleiteten Vereinsorganisation »Artgemeinschaft e.V.«. Erst im März 2009 beschlagnahmten Einsatzkräfte der Polizei im Landkreis Celle das Waffenarsenal einer neonazistische Wehrsportgruppe welche mit Waffengewalt gegen politische Gegner vorgehen wollte. Im nahegelegenen Eschede versammeln sich darüber hinaus regelmäßig bis zu mehreren hundert Neonazis aus den Strukturen der NPD sowie der sogenannten »Freien Nationalisten« zu Zeltlagern, internen NPD-Veranstaltungen oder völkischen Sonnenwendfeiern. Auch ein, nur wenige Kilometer entfernter Truppenübungsplatz gilt als Anziehungspunkt der Neonaziszene.

Die Neonazis mussten sich derweil aus dem »Landhaus Gerhus« zurückziehen. Das Landgericht Lüneburg erließ am heutigen Dienstag, dem 04.08.2009 eine einstweilige Verfügung gegen Jürgen Rieger und veranlasste die Räumung des Anwesens. Das Vorgehen Riegers sei nach Ansicht der zuständigen Richterin rechtswidrig gewesen. Während der Gerichtsverhandlung ließ sich Jürgen Rieger durch seinen langjährigen Anwaltskollegen Corvin Fischer vertreten, der Rieger bereits mehrfach juristisch zur Seite stand. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende, der sich derzeit in Schweden aufhalten soll, blieb der Verhandlung hingegen fern. Während das Gericht die Besetzung des Geländes nun als rechtswidrig deklarierte, bleibt der Pachtvertrag von Jürgen Rieger hingegen umstritten. Aus Sicht des Zwangsverwalters sei dieser allerdings als »konstruiert und sittenwidrig« zu betrachten. Nicht zuletzt aus diesem Grund habe man den Pachtvertrag bereits »angefochten und gekündigt«. Ob Rieger Beschwerde gegen das Urteil beim Oberlandesgericht einlegen wird blieb bis zuletzt unklar. Das Gericht setzte dafür eine Frist von einem Monat.

Nach Verkündung der Entscheidung des Landgerichts Lüneburg übergaben der Anwalt des Zwangsverwalters, begleitet von einem Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts Celle sowie mehrerer Polizisten, das schriftliche Urteil an die im »Landhaus Gerhus« verbliebenen Neonazis. Diesen wurde daraufhin eine 30minütige Frist zum Verlassen des Areals eingeräumt. Unter lautstarkem Applaus der Anwohner verließen die Neonazis das Gelände schließlich fristgerecht und kamen damit einer angedrohten Zwangsräumung zuvor. Zum Schutz vor weiteren »Inbesitznahmen« soll nun ein privater Wachdienst für das Gelände beauftragt werden.